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Amerika | Deutsch

von Kai Kupferschmidt [1,2]

Es ist die Lieblingsfarbe der meisten Menschen, doch in der Natur findet sie sich selten, künstlich ist sie nur schwer herzustellen. Umso eifriger arbeiten Wissenschaftler an neuen blauen Pigmenten.

Teil 2: Die unmögliche Blume

Die blaue Blume gilt seit der Romantik als das Symbol der Sehnsucht und des Unerreichbaren. Was auch immer versucht wurde, die perfekte blaue Blume ist immer noch weit weg.

Im Jahr 2004 stellten japanische Forscher um Yoshikazu Tanaka der Öffentlichkeit die angeblich erste blaue Rose der Welt vor. Das einzige Problem: Sie war nicht sehr blau. Obwohl die Blütenblätter ein blaues Pigment produzierten, wirkte sie eher lila. Selbst Tanaka gab zu, dass er beim ersten Anblick der Blume gedacht habe: "könnte blauer sein".

Fünfzehn Jahre später sucht Tanaka immer noch nach der blauen Rose. Er arbeitet im Forschungszentrum des Getränkekonzerns Suntory, der aus Japans erster Whiskybrennerei hervorgegangen war. Nachdem in den 1980er-Jahren eine Steuererhöhung den Schnaps verteuert hatte, war das Unternehmen zusätzlich in den Schnittblumenmarkt eingestiegen. Der Legende nach sollte die Englische Rose von Suntory die schottische Nationalfarbe Blau tragen, um die Erfindung des Whiskys zu feiern.

Doch wahrscheinlich war es nur eine gute Geschäftsidee, schließlich sind blaue Blumen selten. Chrysanthemen, Nelken, Tulpen - keine von ihnen ist natürlicherweise blau. Blaue Orchideen werden üblicherweise künstlich gefärbt. Jahrzehntelange Zucht hat Rosen in allen Schattierungen von Gelb, Rosa und Rot hervorgebracht, aber keine in Blau.
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Künstler wissen das schon lange. In der Romantik war die blaue Blume Symbol der Sehnsucht und des Unerreichbaren. Rudyard Kipling schrieb ein Gedicht über einen Mann, den seine Geliebte beauftragt hatte, eine blaue Rose zu suchen: “Lief die Welt durch bis ans End, wo ich solche Blumen fänd.” Als er mit leeren Händen zurückkehrt, ist seine Liebe gestorben.

Die Komplexität der blauen Blüten wurde erstmals 1913 deutlich, als der deutsche Forscher Richard Willstätter berichtete, er habe das blaue Pigment aus Kornblumen isoliert. Es war ein Anthocyan, das er Cyanidin nannte. Als er zwei Jahre später das Pigment roter Rosen isolierte, stellte sich heraus, dass es genau dasselbe Molekül war. Willstätter machte dafür den niedrigeren pH-Wert der Rosen verantwortlich.

Es war die erste wissenschaftliche Theorie über blaue Blumen, und sie war falsch. Es dauerte Jahrzehnte bis schließlich 2005 die Röntgenkristallografie eine andere Erklärung bestätigte. Cyanidin allein erzeugt keine stabile blaue Farbe. Stattdessen kombinieren Kornblumen sechs Cyanidin-Moleküle mit sechs Molekülen eines farblosen Co-Pigments, das um zwei Metallionen angeordnet ist - ein riesiger Molekülkomplex, der die Cyanidin-Moleküle stabilisiert und es einem Elektron ermöglicht, den richtigen Energieübergang vorzunehmen. "Blumen machen verrückte Chemie, um dieses Blau zu erzeugen", sagt der Botaniker Beverley Glover von der Universität Cambridge.

Mehrere andere blaue Blumen nutzen den gleichen Trick, aber die meisten produzieren ein anderes Anthocyan, genannt Delphinidin, das leichter dazu gebracht werden kann, blau zu erscheinen. Es weist an einem seiner Ringe ein zusätzliches Sauerstoffatom auf, das von einem Enzym namens Flavonoid 3',5'-Hydroxylase gebildet wird. Der gesamten Rosenfamilie fehlt dieses Enzym, sodass Delphinidin produzierende Rosen nicht durch traditionelle Züchtung hergestellt werden können.

Tanaka setzte deshalb auf Gentechnik. Bis 1991 hatten er und seine Kollegen das Flavonoid-Gen bei Petunien identifiziert und patentiert. Sie setzten das Gen in Nelken an, woraufhin diese Delphinidin produzierten und sich violettblau färbten. Doch in Rosen versagte das Gen. Die Blume produzierte zwar Delphinidin, aber keine blauen Pigmente.

Deshalb ging die Präsentation der angeblich blauen Rose so daneben. Anscheinend reicht Delphinidin nicht aus. Die Wissenschaftler müssen selber verrückte Chemie betreiben.

Seitdem hat Tanaka versucht, die Gene von Glockenblumen, Stiefmütterchen und anderen blauen Blumen zu übertragen, um Delphinidin chemisch zu "dekorieren", in der Hoffnung, die magische Kombination zu finden. Letztes Jahr zeigte er einem Besucher Hunderte winzige Rosenpflanzen, die unter fluoreszierendem Licht wachsen. "Alle von ihnen sollen dazu beitragen, dass irgendwann einmal eine neue blaue Farbe entsteht", sagt er.

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Durch die Gentechnik entstanden blaue Chrysanthemen. Warum hat es bei Rosen nicht funktioniert?

In der Zwischenzeit hat eine Kooperation von Tanaka und einer Gruppe um Naonobu Noda am Institut für Gemüse- und Blumenbauwissenschaften in Tsukuba, Japan, immerhin zu einer unbestreitbar blauen Blume geführt: einer blauen Chrysantheme. Im Fachblatt Science Advances berichteten die Forscher, dass das Flavonoid-3',5'-Hydroxylase-Gen aus Glockenblumen zusammen mit einem Gen, das ein Glukose-Molekül hinzufügt, erfolgreich war: Es entstanden die blauesten, jemals durch Gentechnik erzeugten Blüten. Offensichtlich hat die Glukose es den natürlichen Enzymen der Blume ermöglicht, weitere chemische Gruppen - Co-Pigmente - an Delphinidin zu binden und so ein stärkeres Blau zu erzeugen. Leider hat exakt die gleiche Strategie bei Rosen nicht funktioniert, vermutlich liegt es an fehlenden Co-Pigmenten und dem niedrigen pH-Wert.

Aber Tanaka gibt nicht auf. So experimentiert er weiter mit Genen von Enzian und Schnappmäulchen. In der Tradition von Willstätter versucht er sogar, den pH-Wert in den Rosenblättern zu verändern.
Tanaka ist zuversichtlich, dass er bis zu seiner Pensionierung in fünf Jahren Erfolg haben wird. 30 Jahre Suche haben ihn jedoch auch vorsichtiger gemacht: "Es ist schwer zu sagen, wie blau sie sein werden."

Referenzen:

[1] Das Blaue Wunder, Süddeutsche Zeitung, Wochenendausgabe, Kapitel „Wissen“, 06. / 07 Juli 2019

[2] In Search of Blue, Von Kai Kupferschmidt, Science Magazine veröffentlicht von AAAS, 02. Mai 2019, https://www.aaas.org/

[3] Blau - Reise durch faszinierende Farbe, Kai Kupferschmidt
https://www.amazon.de/Blau-Reise-durch-faszinierende-Farbe/dp/3455006396

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